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Urteil - Sozialversicherungsrecht

Keine Selbstständigkeit bei Dozentin mit Vertretungsaufgaben

Eine nebenberufliche Dozentin an einer Schule, die auf die Erlangung eines staatlich anerkannten Bildungsabschlusses (Altenpflege) gerichtet ist, ist abhängig beschäftigt, wenn sie als Vertretungskraft für andere Lehrer tätig wird, im Rahmen des Unterrichts Vorgaben des Lehrplans zu beachten und den Leistungsstand der Schüler zu kontrollieren hat.

Dies hat das Landessozialgericht Hessen (LSG) in seinem Urteil vom 14.12.2023 (Az.: L 8 BA 9/22) festgestellt. Das Urteil bietet eine gute Übersicht zur rechtlichen Einordnung der verschiedenen Dozentengruppen.

Der Sachverhalt:

Im Zuge eines Statusklärungsverfahrens stellte die Deutsche Rentenversicherung in Bezug auf eine nebenberufliche Dozentin bei einem Aus- und Fortbildungsinstitut im Bereich der Altenpflege fest, dass bei dieser Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung bestehe. Hiergegen erhob das Institut Klage.

Im Institut wurden überregional staatlich examinierte Altenpflegerinnen und Altenpfleger sowie Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfer ausgebildet. Die Dozentin, deren Versicherungspflicht im Streit stand, war hauptberuflich versicherungspflichtig als Altenpflegerin in einem Hospiz beschäftigt. Am 16. Januar 2017 schloss sie mit der Klägerin einen Dozentenvertrag, mit dem sie sich zur Durchführung von Unterricht in den pflegerelevanten Lernfeldern der Lernbereiche I bis IV des theoretischen und fachpraktischen Unterrichtes entsprechend den geltenden Verordnungen über Ausbildung und Prüfung in der Altenpflege und Altenpflegehilfe im Umfang von ca. 80 Stunden im Jahr verpflichtete. Ein festes Arbeitsverhältnis wollten beide Parteien nicht begründen.

Die Entscheidung:

In der Sache selber kam das LSG zum Ergebnis, dass die Tätigkeit der Dozentin als eine dem Grunde nach abhängige uns damit sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu beurteilen war. Der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung wurde zwar aufgehoben, dies aber nur, weil eine Versicherungspflicht wegen der Geringfügigkeit der Tätigkeit verneint wurde.

Ausführlich führt das LSG zu den Abgrenzungsmerkmalen bei Dozenten aus:

„Die Tätigkeit als Lehrkraft kann sowohl im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses als selbständige Tätigkeit ausgeübt werden (vgl. § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Entscheidend ist, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist, in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise der Unterrichtserteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestaltet und inwieweit sie zu Nebenarbeiten herangezogen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 – B 12 KR 26/02 R; Urteil vom 28. Juni 2022 – B 12 R 3/20 R). Hierbei ist im Wege einer typisierenden Betrachtung auch darauf abzustellen, ob die Lehrkraft an einer allgemeinbildenden Schule oder einer mit dieser vergleichbaren Lehreinrichtung tätig wird. Lehrkräfte, die an allgemeinbildenden Schulen unterrichten, sind in der Regel Arbeitnehmer, auch wenn sie ihren Unterricht nebenberuflich erteilen. Die stärkere Einbindung von Schülern in ein Schul- oder Ausbildungssystem bedeutet eine stärkere persönliche Abhängigkeit der Lehrkräfte vom Unterrichtsträger. Für den Unterricht an allgemeinbildenden Schulen gibt es ein dichtes Regelwerk von Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen. Diese betreffen nicht nur die Unterrichtsziele, die genau beschrieben werden, sondern auch Inhalt, Art und Weise des Unterrichts. Der Unterricht der verschiedenen Fächer und Stufen muss nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch und didaktisch aufeinander abgestimmt werden. Außerdem unterliegen diese Lehrkräfte einer verstärkten Kontrolle durch die staatliche Schulaufsicht…

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die häufigen Leistungskontrollen der Schüler mittelbar auch eine Kontrolle der Unterrichtenden bedeuten. Schließlich fallen bei Unterricht an allgemeinbildenden Schulen regelmäßig mehr Nebenarbeiten an als bei der Abhaltung außerschulischer Kurse. Dazu gehören die Unterrichtsvorbereitung, die Korrektur schriftlicher Arbeiten, die Beteiligung an der Abnahme von Prüfungen, die Teilnahme an Konferenzen, unter Umständen auch die Abhaltung von Schulsprechstunden, Pausenaufsichten und die Durchführung von Wandertagen und Schulreisen. Die Erteilung von Unterricht an allgemeinbildenden Schulen bedingt die Eingliederung der Lehrkräfte in die vom Schulträger bestimmte Arbeitsorganisation. Daher ist es folgerichtig, wenn Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen, soweit sie auf Grund von privatrechtlichen Verträgen tätig sind, als Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt werden (BAG, Urteil vom 11. Oktober 2000 – 5 AZR 289/99 ).

Gleiches hat für Lehrkräfte zu gelten, die an Weiterbildungsinstituten Fachunterricht erteilen, wenn ihre Unterrichtstätigkeit schulischen Charakter besitzt, sich von der eines Lehrers an allgemeinbildenden Schulen nicht wesentlich unterscheidet und die Unterrichtstätigkeit, etwa durch die Vermittlung eines staatlich anerkannten oder institutseigenen Abschlusses, für das berufliche Fortkommen der Teilnehmer von Bedeutung ist (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – L 9 BA 54/18 ).

Dagegen können Lehrkräfte, die außerhalb schulischer Lehrgänge unterrichten, als freie Mitarbeiter tätig werden, auch wenn es sich bei ihrem Unterricht um aufeinander abgestimmte Kurse mit vorher festgelegtem Programm handelt. Namentlich bei Volkshochschulen und Musikschulen ist die Verbindung der Schüler oder Kursteilnehmer zum Unterrichtsträger erheblich lockerer. Es gibt regelmäßig – anders als bei den allgemeinbildenden Schulen – keine förmlichen Abschlüsse. Die Kurse dienen nicht der Berufsvorbereitung. Der Unterricht ist meist weniger reglementiert; das Ausmaß der Kontrolle geringer. Schließlich fallen weniger Nebenaufgaben an. Die auch hier notwendige Organisation und Koordination sowie die inhaltlichen Vorgaben lassen den Lehrkräften mehr Spielraum als in allgemeinbildenden Schulen (BAG, a.a.O.; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Juli 2016 – L 8 R 761/14).

Bewertung:

Das LSG differenziert hier sauber zwischen den verschiedenen Dozentengruppen und gibt damit für die Praxis beiden Vertragsparteien gute Hinweise für eine rechtliche Einordnung. Fast immer gibt es in streitigen Fällen ebenso Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen wie auch solche, die Indizien für eine Selbstständigkeit darstellen. Um sozialversicherungsrechtliche Risiken zu vermeiden, ist daher stets eine sorgfältige Prüfung aller Einzelfallumstände vorzunehmen. Wie schwierig dies im Einzelfall ist, zeigt bereits, dass das Sozialgericht im vorliegenden Fall erstinstanzlich zu einem anderen Ergebnis kam als das Landessozialgericht. Bestehende Risiken sollten durch die rechtzeitige Einleitung eines sog. Statusklärungsverfahrens nach § 7 a SGB IV geklärt werden, das binnen einem Monats nach Aufnahme der Tätigkeit einzuleiten ist.

Nach der Neufassung des § 7a SGV IV, die für ab dem 01.04.2023 aufgenommene Tätigkeiten gilt (der Fall betraf noch die Altfassung des § 7 a) ist dabei die Feststellung zu beantragen, ob eine Beschäftigung oder eine abhängige Beschäftigung vorliegt.

Hilfreich für eine Ersteinschätzung können dabei auch die seitens der Deutschen Rentenversicherung zur Verfügung gestellten Informationen sein, die Sie auf der dortigen Homepage finden. Überdies ist zu beachten, dass selbst bei Selbstständigkeit Rentenversicherungspflicht gemäß § 2 Abs. 1 SGB VI bestehen kann. Dies ist vielen Selbstständigen in der Praxis nach wie vor nicht bewusst. Hier drohen erhebliche Forderungen der Sozialversicherungsträger.

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