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Urteil - Arbeitsrecht

Arbeitsunfähigkeit nach Kündigung, Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist dann erschüttert, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers belastbare Tatsachen vorhanden sind, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen.

So das LAG Mecklenburg-Vorpommern mit Urteil vom 8.2.2023 – 3 Sa 135/22.

Der Sachverhalt:

Ein als Assistenzarzt beschäftigter Mitarbeiter kündigte das Arbeitsverhältnis am 28.02. zum 31.03. Danach arbeitete er zunächst weiter. Am 11.03. hatte er einen Tag Urlaub. Am Vortag ließ er dann seine Büroschlüssel sowie die Schlüssel zum medizinischen Aktenschrank auf seinem Schreibtisch liegen. Private Gegenstände befanden sich zu diesem Zeitpunkt keine in seinem – auch anderen Personen zugänglichen – Büro. Am 14.03. meldete sich der Mitarbeiter dann krank und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, die bis zur Beendigung am 31.03.2022 andauerte.

Der Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung mit Hinweis auf die entfernten privaten Gegenstände aus dem Büro des Mitarbeiters. Diese Vorgehensbeweise stelle die Beweiskraft der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Frage.

Die Entscheidung:

Dies hielt das LAG Mecklenburg- Vorpommern allerdings nicht für ausreichend:

Zwar sei anerkannt, dass der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern könne, dass er Tatsachen darlege und im Streitfall beweise, die ernsthafte Zweifel an einer Erkrankung des Mitarbeiters ergeben würden.

Solche Zweifel sah das LAG vorliegend aber nicht als hinreichend festgestellt. Hierfür müssten nämlich nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers objektiv greifbare Tatsachen festgestellt und ggf. bewiesen werden, die erheblichen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen würden. Es reiche in der Regel nicht aus, wenn die Sachverhalte – wie vorliegend – objektiv mehrdeutig und plausibel erklärbar seien (hier: Eindruck eines leergeräumten Büros, Zurücklassen von Büroschlüsseln, Ende der Arbeitsunfähigkeit bis zum Ablauf am 31.03.2022, einem Donnerstag).

Der Arbeitnehmer hatte im Prozess vortragen lassen, dass er auf eine Ausstattung seines Arbeitsplatzes mit persönlichen Gegenständen verzichtet hatte, da sein Büro auch von anderen Personen ohne sein Beisein benutzt werden konnte. Im Hinblick auf die zurückgelassenen Schlüssel hatte der Mitarbeiter vorgetragen, dass er diese wohl vergessen habe. Auch die Tatsache, dass die Arbeitsunfähigkeit bis zu einem Donnerstag reichte, begründete aus Sicht des Landesarbeitsgerichts keine ernsthaften Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Zwar sei dem Arbeitgeber insoweit zuzugeben, dass in der Regel mehrtägige bzw. mehrwöchige Krankschreibungen jeweils freitags endeten. Vorliegend sei jedoch zu berücksichtigen gewesen, dass es aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers plausibel erscheine, dass ein Arbeitnehmer im Falle des Beginns eines neuen Arbeitsverhältnisses auf eine Verkürzung des Krankheitszeitraums gegenüber seinem Arzt dränge, um den Bestand des neuen Arbeitsverhältnisses nicht von vorne rein zu gefährden.

Bewertung:

Die Rechtsprechung hat sich in jüngster Zeit mehrfach mit der Frage auseinandergesetzt, wann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Zusammenhang mit dem Erhalt einer Kündigung erschüttert ist.

So entschied zunächst das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21): Wird ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweis für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. In diesem Falle bestünden ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung.

Unter Bezugnahme auf dieses Urteil führte allerdings das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit Urteil vom 08.03.2023 (8 Sa 859/22) aus:

Meldet sich zunächst der Arbeitnehmer krank und erhält erst dann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehlt es an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung notwendigen Kausalzusammenhang. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben ist und am unmittelbar darauffolgenden Tag bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginne, erschüttere ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht.

Die Entscheidung des LAG Niedersachsen sowie die des LAG Mecklenburg-Vorpommern zeigen einmal mehr, dass die Möglichkeiten eines Arbeitgebers, den hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, nach wie vor sehr beschränkt sind. Hier gilt es hohe Hürden zu überwinden.

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