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Urteil - Sozialversicherungsrecht

Lehrer an Musikschulen regelmäßig sozialversicherungspflichtig

Lehrer an Musikschulen, die ihre Tätigkeit in den Räumlichkeiten der Musikschule gegen Zahlung eines Stundenlohns durchführen, Schüler von der Schule zugewiesen bekommen und sich hinsichtlich der Arbeitszeit an den zeitlichen Vorgaben der Schule zu orientieren haben, unterliegen als abhängig Beschäftigte regelmäßig der Sozialversicherungspflicht.

Mit diesem Urteil vom 28.06.2022 – B 12 R 30/20 R hat das Bundessozialgericht (BSG) seine frühere Rechtsprechung (Urteil vom 14.03.2018, B 12 R 3/17 R), der zufolge in einem vergleichbaren Fall noch eine Selbstständigkeit eines an einer Musikschule als Honorarkraft unterrichtenden Gitarristen angenommen wurde, offenkundig aufgegeben.

Der Sachverhalt:

Die Klägerin, eine städtische Musikschule, hatte mit einem Klavierlehrer eine freiberufliche Unterrichtstätigkeit im Fach „Klavier/Keyboard“ vereinbart. Der Lehrer erhielt ein festgelegtes Honorar für geleistete Unterrichtsstunden. Er hatte den Unterricht in den Räumen der Musikschule unter Nutzung der dort vorhandenen Instrumente durchzuführen und sich dabei an den zeitlichen Vorgaben der Schule zu orientieren, die einen Stundenplan erstellte. Ferner war er verpflichtet, mindestens einmal jährlich Schülervorspiele vorzubereiten und durchzuführen sowie zweimal im Jahr an Gesamtlehrer- und Fachbereichskonferenzen teilzunehmen, wofür er eine gesonderte Vergütung erhielt. Ein Arbeitsverhältnis sollte nach den getroffenen Vereinbarungen ausdrücklich nicht begründet werden.

Auf Antrag des Musiklehrers stellte die Deutsche Rentenversicherung fest, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliege und daher Sozialversicherungspflicht bestehe.

Die Entscheidung:

Während die Schule mit ihrer dagegen gerichteten Klage vor dem Landessozialgericht noch erfolgreich war, bestätigte das BSG als letzte Instanz die Auffassung der Deutschen Rentenversicherung und lehnte eine Selbstständigkeit ab.

Dabei betonte das BSG zunächst, dass hier die allgemeinen Abgrenzungskriterien zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit heranzuziehen seien und sich insbesondere aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Absatz 3 des Grundgesetzes keine Besonderheiten ergäben. Der Gesetzgeber habe lediglich im Bereich der Krankenversicherung durch Schaffung der Künstlersozialversicherung zu erkennen gegeben, dass hier für die soziale Absicherung von (selbstständigen) Künstlern und Publizisten Besonderheiten gelten.

Als erhebliche Indizien für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung sah das BSG die Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung, die Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten und Räume sowie die Notwendigkeit der Durchführung von Schülervorspielen an. Dem Musiklehrer seien im Hinblick auf Ort und Zeit der Tätigkeit keine relevanten Entscheidungsfreiheiten eingeräumt worden. Ferner habe der Musiklehrer keine eigene betriebliche Organisation unterhalten und kein unternehmerisches Risiko zu tragen gehabt. So habe die Schule die gesamte Organisation übernommen, die Verträge mit den Schülern abgeschlossen und dem Lehrer Räume und Instrumente unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Dass der Musiklehrer den Unterricht habe weitgehend frei gestalten können, sei unerheblich, da bei Leistungen höherer Art, zu denen grds. auch Künstler und Lehrer gerechnet werden, weitgehend fachliche Weisungsfreiheit bestehe.

Demgegenüber verwirklichten selbstständige Musiker und Musiklehrer ihre unternehmerischen Risiken und Chancen vor allem durch eigene Kundenbeziehungen, durch ihr Können und ihren Ruf. Die Beziehungen zu den Schülern der Musikschule habe aber alleine die Schule gestaltet.

Bewertung:

So überzeugend das Urteil ist, so wenig nachvollziehbar ist die Differenzierung zu der früheren BSG-Rechtsprechung aus dem Jahr 2018, in der das BSG bei sehr ähnlichem Sachverhalt zum entgegengesetzten Ergebnis gekommen war. Dort wurde die Selbstständigkeit eines an einer Musikschule als Honorarkraft tätigen Gitarrenlehrers angenommen, was viele Musikschulen darin bestärkt haben dürfte, weiter ihr „Modell“ mit zum Teil angestellten Lehrern und zum Teil auf Honorarbasis beschäftigten vermeintlich „Selbstständigen“ aufrecht zu erhalten. Anders als in der Entscheidung aus dem Jahr 2018 betont das BSG nunmehr den besonderen Schutz der Sozialversicherung, der grundsätzlich nicht zur Disposition der Vertragsparteien stehe. Ein gewichtiges Indiz gegen das Vorliegen einer Selbstständigkeit stellt aus Sicht des BSG nunmehr insbesondere die Eingliederung des Lehrers in die Schule dar. Demgegenüber hatte das BSG im Jahr 2018 noch dem Parteiwillen zur Selbstständigkeit eine deutlich überhöhte Bedeutung zugebilligt.

Musikschulen, die nach der Entscheidung aus dem Jahr 2018 auf die damalige Rechtsprechung vertraut haben, droht nunmehr bei Betriebsprüfungen ein erhebliches Risiko von Beitragsnachforderungen. Für welchen Zeitraum diese greifen, ob also insbesondere zeitweise noch ein Vertrauensschutz wegen der geänderten Rechtsprechung gewährt wird (was allg. nicht der Fall ist, so aber jetzt etwa das LSG Niedersachsen Bremen mit Urteil vom 20.12.22, L 2 BA 47/22) wird man abwarten müssen. Die Revision zum BSG läuft insoweit.

Musiklehrern bietet die neue Rechtsprechung die Möglichkeit zu persönlichen Beitragsentlastungen über den Weg von Statusklärungsverfahren. Dies gerade im Bereich der Altersversorgung, sind sie doch bei Vorliegen einer Selbstständigkeit nach § 2 Absatz 1 Nr. 1 SGB VI regelmäßig rentenversicherungspflichtig und müssen diese Beiträge alleine aufbringen.

Ob trotz Sozialversicherungspflicht gleichzeitig ein Arbeitsverhältnis vorliegt mit allen Rechten der beschäftigten Lehrer (Mindestlohn, Urlaub, Entgeltfortzahlung etc.), konnte das Bundessozialgericht mangels Zuständigkeit dagegen nicht entscheiden. Da sich der Beschäftigungsbegriff im Sinne des Sozialversicherungsrechts vom Begriff des Arbeitsverhältnisses teilweise unterscheidet, ist die Abgrenzung eine Frage des Einzelfalls. So hatte etwa das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 17.10.2017 (9 AZR 792/16) aufgrund von fehlenden Weisungsrechten ein Arbeitsverhältnis eines Musiklehrers an einer städtischen Musikschule abgelehnt.

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